Von Jonathan Lyne
Fast drei Monate ist es her, dass das Hochwasser große Gebiete in Schwaben und Oberbayern unter Wasser gesetzt hat. Aus der Öffentlichkeit verschwindet die Flut allmählich, viele Menschen haben allerdings noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Fünf Betroffene berichten, wie sie die Schäden noch immer beschäftigen und wie ihnen die Kartei der Not, das Leserhilfswerk unserer Zeitung, geholfen hat.
Liselotte Schmidt (80) aus Nordendorf: „Wenn ich die Haustür aufsperre, rieche ich es schon.“
„Wenn ich die Haustür aufsperre, rieche ich es schon. Das Wasser stand im Keller 1,60 Meter hoch, bis zur siebten Stufe auf der Kellertreppe. Als das Wasser kam, wurde ich evakuiert. Erst ein paar Tage später konnte ich wieder in mein Haus. Da war im Keller schon alles aufgeweicht. Meine Nähmaschine, mein Schreibtisch, mein Drehstuhl. Zum Glück hatte ich viele junge Helfer, in meinem Alter hätte ich das nicht mehr machen können. Ich habe so gut es ging mitgeholfen. Wir haben einige Schuhe rausgefischt. Die konnte man aber nicht mehr nehmen, die haben gestunken. Wir haben viel weggeschmissen. Ich wohne seit 50 Jahren in dem Haus, hatte noch nie Wasser von der Schmutter im Haus. Jetzt ist fast alles kaputt, das ist sehr schade. Meine Tochter hatte im Keller einen Schrank mit Dirndln und Lederhosen. Das hat es alles weggeschwemmt. Man kann sich gar nicht vorstellen, was Wasser für eine Kraft hat. Wir haben keine Türstöcke mehr, müssen alle erneuern. Mein Schwiegersohn hat an den Wänden den Putz weggeschlagen. Wir brauchen Maurer, wir brauchen Estrich, aber das dauert alles.
Wir haben eine Gebäude- und eine Hausratversicherung, aber keine für Elementarschaden. Meine Tochter hat schon vor der Flut immer wieder bei der Versicherung angerufen und wollte das ändern lassen. Es ist aber nie einer gekommen. Wir machen jetzt so viel es geht selbst. Vom Freistaat haben wir 2500 Euro bekommen. Darüber war ich sehr glücklich, auch wenn es eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein war. Der Schaden liegt bei rund 60.000 Euro. Auch das Geld von der Kartei der Not war sehr wichtig. Das stecke ich in die Instandsetzung des Hauses.“
Helmut Winter (65) aus Dirlewang:
„Wir wussten nicht, wo hinten und vorne ist.“
„Es ging alles rasend schnell. Als wir am Sonntagfrüh aufgestanden sind, haben wir schon gesehen, dass das Wasser kommt. Es kam regelrecht in den Keller geschossen. Meine Frau und ich leben in einem Einfamilienhaus, im Keller ist das Bad. Den Schrank hat es von der Wand gerissen, die ganze Einrichtung ist aufgeschwemmt. Die Waschmaschine, der Boiler, die mobile Klimaanlage – das ist alles abgesoffen. Es war Land unter. Das Wasser stand eineinhalb Meter im Keller, wir konnten nichts machen. Wahrscheinlich war auch Öl mit drin. Wir haben in den Tagen danach alles rausgepumpt und haben noch immer Baulüfter laufen, um alles zu trocknen. Das Wasser hat die Wände aufgerissen und den Boden gesprengt, es drückt immer noch durch die Risse rein. Alles ist feucht, eigentlich gehört der ganze Keller neu gemacht. Gegen Elementarschaden sind wir nicht versichert, die Versicherung hat uns nach dem letzten Hochwasser in den 90er-Jahren gekündigt. Aber man darf nicht jammern.
Wie hoch der Schaden ist, können wir erst sagen, wenn der Gutachter da war. Dafür müssen wir aber warten, bis das Grundwasser zurückgegangen ist. Die Kartei der Not hat uns den ersten Schwung vom Hals genommen. Wir haben den Antrag abgegeben, eine Woche später haben wir 4500 Euro bekommen. Auch vom Freistaat haben wir Soforthilfe bekommen. Darüber waren wir heilfroh. Wir wussten am Anfang nicht, wo hinten und vorne ist.“
Ulrike Falk (53) aus Wertingen: „Am allerschlimmsten sind die psychischen Folgen.“
„Mein Mann und ich haben einen Keller mit 150 Quadratmetern. Er ist komplett vollgelaufen, das Wasser stand bis zehn Zentimeter unters Erdgeschoss. Im Keller war unter anderem mein Büro. Computer, Tablet, Drucker, das ist alles kaputt. Das ist aber nicht so schlimm – anders ist es bei den Dingen, die man nicht ersetzen kann: Antiquitäten von meinen Großeltern, CDs und DVDs von meinem Vater, Erinnerungen an die Kindheit meiner Kinder. Das ist alles einfach weg, das trifft mich hart. Ich konnte lange nicht in den Keller gehen, ich konnte das nicht sehen. Die Hilfe von den Freunden meiner Söhne war überwältigend. Sie haben den Keller leer gepumpt, Schlamm und Unrat entsorgt. Im Nebengebäude, das wir vermieten, stand auch das Erdgeschoss unter Wasser. Das muss komplett kernsaniert werden. In unserem Keller laufen die Trockner seit acht Wochen. Allein dort liegt der Schaden bei 200.000 Euro. Wie viel der Wiederaufbau des Nebengebäudes kosten wird, kann ich noch nicht sagen. Am allerschlimmsten sind die psychischen Folgen. Ein Haus ist immer eine Sicherheit. Aber dieses Gefühl ‚Ich kann die Tür zumachen, ich bin sicher‘, das ist weg. Auch meine Nachbarn sind psychisch am Ende, sie haben keine Kraft für irgendwas. Wir sind nicht mehr arbeitsfähig, aber an Urlaub ist trotzdem nicht zu denken.
Ich brauche gerade viele Kleinigkeiten: einen Staubsauger, einen Akkubohrer. Da hilft jeder Euro. Die Spendengelder der Kartei der Not sind großartig – dass man überhaupt etwas bekommt. Ich bin unfassbar dankbar, sie haben unglaublich schnell und unbürokratisch gezahlt.“
Michael Kienle (38) aus Babenhausen: „Unser Haus ist bis heute unbewohnbar.“
„Die Folgen des Hochwassers sind für uns noch immer spürbar. Unser Zweifamilienhaus ist bis heute unbewohnbar. Meine Frau, meine zwei Kinder und ich wohnen noch immer bei meiner Mutter. Das ist natürlich alles ein bisschen eng. Für meine Schwiegermutter haben wir nun nach langer Suche eine Wohnung gefunden. Unser Keller ist komplett vollgelaufen, im Erdgeschoss stand das Wasser 80 Zentimeter hoch. Dort ist alles kaputt. Im Keller hatten wir unter anderem einen Partyraum, einen Waschkeller und einen Heizungsraum. Alles, was wir dort unten hatten, ist im Container gelandet. Auch die Elektrik, die Heizanlage – das ist alles kaputt. Wie hoch der Schaden ist, wissen wir noch nicht. Erst mal muss der Estrich raus. Darum kümmern wir uns selbst.
Mein Auto, das meiner Frau und das meiner Schwiegermutter sind bei der Flut zerstört worden. Das Geld vom Freistaat und von der Kartei der Not hat uns geholfen, für das nächste halbe Jahr ein neues Auto zu besorgen. Das brauche ich, um in die Arbeit zu kommen. Hoffnung, dass wir bald in unser Haus zurückkehren können, habe ich aktuell wenig.“
Carola Gollan-Bliss (54) aus Ottmarshausen: „Das war wie in ‚Titanic‘.“
„Mein Mann und ich waren gerade im Urlaub, als wir von den Hochwasserwarnungen gehört haben. Wir sind dann heimgefahren und haben angefangen, alles hochzuräumen. Unser Erdgeschoss liegt tiefer als die Straße. Wir haben vor unserem Haus Schotts aufgestellt, darüber Sandsäcke gestapelt. Das Wasser ist immer weiter gestiegen und irgendwann mit dem Schott und den Sandsäcken ins Haus gebrochen. Das war wie in ‚Titanic‘. Innerhalb kurzer Zeit stand das Wasser einen Meter im Erdgeschoss, alles ist geschwommen. Wir sind bis zum Bauchnabel durchs Wasser gewatet. Die Schäden sind wahnsinnig, liegen bei mehreren zehntausend Euro. Im Erdgeschoss war mein Arbeitszimmer, unser Wohnzimmer, unsere Küche. Sämtliche elektronischen Geräte sind kaputt. Im Keller stand alles unter Wasser. Unser gesamtes Geschirr mussten wir auf diverse Haushalte verteilen, wir haben keinen Platz zum Lagern. Mittlerweile haben wir uns eine provisorische Küche eingerichtet, kochen auf einem Zwei-Flammen-Kocher. Die Wände sind wieder trocken, wir können anfangen zu renovieren. Das dauert bestimmt zwei Monate, viele Möbel müssen neu zusammengebaut werden.
Die Hilfe von der Kartei der Not kam sehr schnell. Es war angenehm zu wissen: Mit diesem Polster kann man planen. Gigantisch war die Hilfe von vielen Freunden und Bekannten. Zum Teil kamen fremde Leute vorbei, die wir gar nicht kannten. Meine Freundinnen haben mir heimlich eine neue Waschmaschine bezahlt. Das waren rührende Momente. Was auch bleibt, ist die dauerhafte Angst vor dem nächsten Hochwasser. Und die Enttäuschung, dass trotz der ständigen Gefahr einer Flut im Bereich der Schmutter bislang kaum wirksame Maßnahmen getroffen wurden, um uns vor einer solchen Katastrophe zu schützen.“
Spätestens als die Keller leergepumpt waren, wurde sichtbar, welche Schäden die Flut Anfang Juni in Schwaben und Oberbayern angerichtet hatte. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzte die Höhe der Schäden Anfang August auf etwa zwei Milliarden Euro. Die Staatsregierung stellte nach dem Hochwasser 200 Millionen Euro Soforthilfen für Betroffene bereit.
Unterstützung erhielten die Opfer des Hochwassers aber auch von der Kartei der Not, dem Leserhilfswerk unserer Zeitung. Über 1300 Anträge für Soforthilfe, die die Kartei der Not erreicht hatten, wurden bewilligt. Insgesamt leitete das Leserhilfswerk in den zwei Monaten nach der Flut über 3,6 Millionen Euro an Betroffene weiter. Im Schnitt erhielt ein Haushalt über 2700 Euro. Besonders viel Geld floss in das Verbreitungsgebiet der Günzburger Zeitung, insgesamt waren es über 1,8 Millionen Euro. Die Region war besonders stark vom Hochwasser betroffen. Größter Spender waren mit 300.000 Euro die Lechwerke. Ellinor Scherer, Vorsitzende des Kuratoriums der Kartei der Not, freut sich ganz besonders, dass die Stiftung in dieser besonderen Notlage so zügig und umfassend helfen konnte. „Die Soforthilfe der Kartei der Not für die vielen Hochwasseropfer in unserer Region war aus mehreren Gründen außergewöhnlich“, sagt Scherer.
„Sie lief dank des großen Einsatzes des gesamten Stiftungsteams nicht nur ausgesprochen schnell und unbürokratisch ab, sondern zeigt auch eindrucksvoll, wie stark unser Leserhilfswerk in der Region verwurzelt ist. In den vergangenen Wochen hat die Kartei der Not in kürzester Zeit über 3,6 Millionen Euro an über 1300 Familien und Einzelpersonen freigegeben, um den Betroffenen in ihrer unverschuldeten Not beizustehen. Das sind beeindruckende Zahlen.“
Auch Alexandra Holland, die stellvertretende Stiftungsvorsitzende, ist glücklich, dass das Leserhilfswerk den Menschen in der Region zielgerichtet und ohne große Formalien beistehen konnte. „Das ist die größte Hilfsaktion in der fast 60-jährigen Geschichte unserer Stiftung“, sagt Holland. „Sie zeigt, dass die Kartei der Not in der heutigen Zeit wichtiger denn je ist. Ein besonderer Dank geht dabei an die vielen Firmen und Einzelspender, die dieses Engagement mit ihren großzügigen Spenden unterstützt haben.“
Und auch, wenn die Antragsfrist für die Fluthilfe bereits ausgelaufen ist, können Hochwasser-Opfer weiterhin über soziale Beratungsstellen bei sich vor Ort Anträge auf eine Unterstützung stellen, erklärt der Geschäftsführer der Kartei der Not, Arnd Hansen. (jly, raf)
Wenn Sie Hilfe brauchen: Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, sollten sich an eine soziale oder kommunale Beratungsstelle vor Ort wenden. Dort stellen die Experten der Beratungsstellen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, mit Ihnen die Anträge an die Kartei der Not. Weitere Informationen zur Arbeit der Stiftung unter www.kartei-der-not.de